Spaziergang von der Karlsbrücke zum Altstädter Ring
Während viele europäische Städte beschädigt wurden, manchmal durch Katastrophen und Konflikte dem Erdboden gleichgemacht – nicht zuletzt durch Zweiten Weltkrieg -, hatte Prag mehr Glück. Bei einem Blick über die Moldau von deren Ostufer auf die Burg haben viele gesagt, dass sie das Gefühl haben, sie seien auf den Seiten eines Märchenbuches.
Die Prager Altstadt ist eine mittelalterliche Siedlung, die später durch die Neustadt Karls IV. im 14. Jahrhundert ergänzt wurde, was Prag zu jener Zeit in die drittgrößte Stadt Europas verwandelte. Obwohl ihr Pseudonym “die Goldene Stadt” oft den atemberaubenden Ausblicken Prags, wenn die Stadt das Sonnenlicht einfängt, zugeschrieben wird, ist der Ursprung ein sehr viel praktischerer. Die Goldreserven der Stadt wurden auf dem Dach der Prager Burg aufbewahrt.
Während sich Prag im 21. Jahrhundert entwickelt, schmiedet die Stadt ihre eigene moderne Identität. Ein Paradebeispiel dafür ist das Tanzende Haus, auch liebevoll als Fred und Ginger Gebäude bezeichnet, welches bei Jiráskův most am Ufer der Moldau schwankt.
1. Starten Sie am westlichen Ende der Karlsbrücke in der Malá Strana (dies bedeutet “Kleinseite”). Es ist jetzt Zeit, um sich für die größte Touristenattraktion der Stadt zu wappnen. Wenn man auf all die anderen Brücken blickt, welche die Moldau heute überspannen, fällt es schwer zu glauben, dass die Karlsbrücke in der Tat die einzige war, die dies bis 1841 tat. Sie können sich vorstellen, wie viel Betrieb auf der Brücke nach ihrer Fertigstellung zu Beginn des 15. Jahrhunderts herrschte – brechend voll mit Händlern und ihren Waren, die sich ihren Weg von der Kleinseite in die Altstadt bahnten. Trotz der Vielzahl an Möglichkeiten, den Fluss heute zu überqueren, bleibt die Karlsbrücke so belebt, wie sie es immer war.
2. Wenn Sie sich durch die glücklichen Schnapper, Straßenmusikanten und Krämer drängen (es sei denn, Sie haben es geschafft, im Morgengrauen aufzustehen und dem Andrang zu entfliehen), versuchen Sie, sich Ihren Weg auf eine der Seiten zu bahnen, von denen jede mit barocken Heiligenstatuen gesäumt ist. Die Originalstatuen wurden auf der Brücke während des Anfangs des 18. Jahrhunderts angelegt, wenngleich inzwischen alle durch Reproduktionen ersetzt wurden. Halten Sie insbesondere nach der Figur des St. Johann Nepomuk Ausschau, der im Auftrag von König Wenzel im Jahre 1393 in den Fluss geworfen und getötet wurde. Man sagt, dass, wenn man die goldene Plakette am Sockel der Statue berührt, viel Glück haben wird. Sie können sich gerne in die Warteschlange von abergläubischen Touristen einreihen und sehen, ob es funktioniert.
3. Wenn Sie sich schließlich auf den Weg zur anderen Seite der Brücke begeben, wobei Sie zweifellos ein wenig Musik im Freien genossen haben und über einige der Karikaturen, die gezeichnet wurden, gelacht haben, erreichen Sie den Altstädter Brückenturm. Wie der Pulverturm auf dem Platz der Republik war dieser Teil der Befestigungsanlagen der Altstadt. Doch trotz seiner praktischen Bedeutung sorgt die Verzierung in gotischem Stil dafür, dass dieses Gebäude als eines der erstaunlichsten seiner Art gilt. Schauen Sie nach oben, wenn Sie seinen Durchgang passieren, und bestaunen Sie seine Wandmalereien aus dem 14. Jahrhundert.
4. Wenn Sie aus dem Brückenturm herauskommen, befindet sich auf der linken Seite die St. Franz-Seraph-Kirche, die aufgrund dessen, dass sie von so vielen anderen historischen Bauten umgeben ist, oft übersehen wird. Sie gehört dem Orden der Kreuzritter mit dem roten Stern und wurde von St. Agnes von Böhmen im Jahre 1233 gegründet. Wo früher das Klosterkrankenhaus war, befindet sich nun ein Ausstellungsraum, in dem ein Fragment der Judith-Brücke ausgestellt ist. Diese stand bis 1342 an der Stelle der Karlsbrücke.
5. Wenn Sie die Krizovnicka überqueren und die Karlova hinuntergehen, sei es Ihnen verziehen, wenn Sie denken, dass diese Straße mit Ansammlungen von Souvenirläden und überteuerten Gulasch-Restaurants verschandelt ist. Eine nähere Betrachtung zeigt jedoch Spuren der Geschichte, von denen sich eine unter der Adresse 188/4 befindet. Dies ist das ehemalige Wohnhaus von Johannes Kepler, dem deutschen Mathematiker und Astronom. Kepler entwickelte genau an diesem Ort die Gesetze der Planetenbewegung. Wenn die Straße in die Liliova mündet, werden Sie auf die ehemalige Apotheke U zlatéstudně (Zum Goldenen Brunnen) stoßen, die mit den Gesichtern der Pestheiler St. Sebastian (links) und St. Roch verziert ist. Wenn dies Ihr Interesse weckt, sollten Sie sich vielleicht die Pestsäule ansehen, die sich ein wenig weiter südlich am Ostufer befindet.
6. Wenn Sie links durch den Torbogen an der Nordmauer des Platzes abbiegen, befinden Sie sich in der Anlage des Clementinum, in welcher derzeit die Nationalbibliothek der Tschechischen Republik zu Hause ist. Sein Name leitet sich von der St.-Clemens-Kapelle ab, die ursprünglich an dieser Stelle stand. Seitdem beherbergte dieser Bereich ein Dominikanerkloster, ein Jesuitenkolleg und später ein Observatorium. Das Clementinum wird in Jorge Luis Borges Das geheime Wunder erwähnt.
7. Wenn Sie sich den Weg durch die Anlage des Clementinum schlängeln und durch einen aufregenden Torbogen verlassen, werden Sie draußen auf dem Mariánské náměstí ankommen. Direkt vor Ihnen befindet sich das Prager Rathaus, Heimat des Bürgermeisters der Stadt, und zu Ihrer linken Seite die Prager Stadtbibliothek, auf deren Dach Sie Statuen erkennen können, welche die verschiedenen Themen der Wissenschaft repräsentieren. Eine kleine Oase der Ruhe zwischen der Karlsbrücke und dem Altstädter Ring, die etwas unheimlich um den Mariánské náměstí sein kann, vor allem nachts. Vielleicht hat es etwas mit dem konstanten sanften Rieseln des Wassers zu tun, das aus der Statue eines Mädchens in einer Ecke des Platzes ausströmt. Es könnte aber auch die schwarze, gepanzerte Figur sein, die auf der linken Seite des Rathauses steht. Es ist die des Eisernen Ritters – ein verfluchtes Wesen, von dem man sagt, das es alle 100 Jahre zum Leben erwacht und die Straßen auf der Suche nach Jungfrauen heimsucht.
8. Mit dem Rathaus noch vor Ihnen biegen Sie rechts in die Husova ein, wobei die interessanteste Stätte das Palais Clam-Gallas ist, das von dem italienischen Architekten Domenico Canevale gebaut wurde. Das Gewicht des gesamten Palastes scheint von zwei steinernen Riesen getragen zu werden, deren gemeißelte Muskeln dauerhaft angespannt sind. Im 18. Jahrhundert war Clam-Gallas der Schauplatz für viele rauschende Konzerte, zwei, an die man sich am meisten erinnert, waren jene von Mozart und Beethoven. Ein Stück weiter hinauf entlang der Straße befindet sich auf Ihrer linken Seite die St. Giles-Kirche, vor welcher Ihnen jemand zweifellos ein Flugblatt in die Hand schieben wird, das für eine klassische Konzertveranstaltung wirbt. Einer der bemerkenswerten Prediger der Kirche war Jan Milic von Kremsier, einer der führenden Verfechter der vorhussitischen Reformation.
9. In der Tat ist diese Gegend reich an hussitischer Geschichte, und wie Sie vielleicht schon herausbekommen haben, ist die Husova nach dem Reformator Jan Hus benannt. Der Grund dafür ist, dass Hus einmal in der Bethlehem-Kapelle gepredigt hat, die Sie auf dem Bethlehemsplatz finden, rechts weg, kurz bevor Sie das Ende der Husova erreichen. Obwohl das Gebäude bis zu 3.000 Menschen fassen kann, hat es niemals den Titel “Kirche” erworben. Als Hus im Jahre 1412 exkommuniziert wurde, ordnete der Papst an, dass die Bethlehem-Kapelle abgerissen werden soll, aber dies wurde freiheraus vom Rat der Altstadt ignoriert. Wir müssen uns also bei diesem dafür bedanken, dass sie noch heute existiert.
10. Wenn Sie zurück auf die Husova gehen und nach oben blicken, könnte Ihr Herz einen Schlag aussetzen, wenn Sie einen Mann vom Rand eines Gebäudes herunterbaumeln sehen. Keine Angst – das ist weder ein Selbstmordversuch noch ein Arbeiter, der sich in Gefahr befindet – es ist ein Kunstwerk des rebellischen tschechischen Bildhauers David Černý. Bei genauerer Betrachtung weist die Statue eine unheimliche Ähnlichkeit mit Sigmund Freud auf. Wenn Ihnen der provozierende Stil von Černý gefällt, sollten Sie einige seiner anderen Werke ausfindig machen, die ein paar Statuen, die außerhalb des Franz-Kafka-Museums ihre Notdurft in einem Trog mit der Form der Tschechischen Republik verrichten, und eine Gruppe von riesigen, gesichtslosen Babys, welche die Säulen des Žižkov-Fernsehturms erklimmen, umfassen.
11. Folgen Sie der Skořepka-Straße bis zum Uhelnýtrh (was übersetzt Kohlenmarkt bedeutet und genau das ist, was dieser Ort einmal war). Wenn Sie sich mit einem Glas guten Wein aus Mähren in ausgefallener Weise belohnen möchten, machen Sie einen kecken Umweg die Michalská hinunter, wo Sie eine eng aneinandergereihte Ansammlung von Bars entdecken werden, die an jedem Wochentag nachmittags mit den Klängen von Gitarrengeklimper und leicht betrunkenen Einheimischen zum Leben erwacht. Wenn Sie zur richtigen Jahreszeit dort sind, können Sie auch den legendären Burchak probieren, ein trübes Getränk, das aus der ersten Traubenernte hergestellt wird. Überqueren Sie ansonsten den Uhelnýtrh zur Havelská, kaufen Sie sich ein Andenken an Ihren Spaziergang auf dem Flohmarkt, und gehen Sie nach links auf die Melantrichova, die Sie den ganzen Weg bis zum Altstädter Ring führt.